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Käfer auf
Dienstfahrt

ams 10.11.1973

Ob der Käfer noch immer so gut ist wie sein Ruf,untersucht auto motor und sport anhand eines "Dienstwagens", der im Alltagsbetrieb eingesetzt wird und mittlerweile die 70.000 Kilometer-Grenze überschritten hat.

Der VW-Käfer, für dessen Herstellung im Jahre 1938 das Volkswagenwerk in Wolfsburg gebaut und dessen zivile Serienproduktion nach dem zweiten Weltkrieg aufgenommen wurde, ist das meistgefahrene Automobil der Welt. Den lange Zeit vom Ford T-Modell behaupteten Produktionsrekord -in den Jahren 1908 bis 1927 baute Henry Ford 15.007.033 Exemplare dieses Typs- hat der Käfer am 17.Februar 1972 eingestellt. In der Zwischenzeit wurde die 17 Millionen-Grenze schon deutlich überschritten.

Daß der Käfer -in der VW-Werbung gern als Weltmeister bezeichnet- dem VW-Werk zur Zeit trotz nach wie vor hoher Produktion (täglich etwa 5500 Exemplare) wenig Gewinn bringt, dafür gibt es verschiedene Gründe: Einerseits ist der Käfer mit seiner veralteten Karosserie und dem vorwiegend aus leichtgewichtigen Materialien gefertigten luftgekühlten Boxer-Triebwerk trotz rationellster Fertigungsmethoden in der Herstellung ziemlich teuer, andererseits erforderten die alljährlich durchgeführten zahlreichen Modifikationen, die den Käfer konkurrenzfähig erhielten, weitaus höhere Investitionen, als man auf Anhieb vermuten möchte. Aber durch die Modifikationen gelang es, den Käfer trotz dreißigjähriger Produktionszeit konkurrenzfähig zu halten. Seine weiteren Vorteile: die weltweite Kundendienst Organisation und der unerschütterliche Nimbus ausgeprägter Wirtschaftlichkeit und Anspruchslosigkeit.

Gerade das zuletzt genannte Argument ist häufig für einen Käfer-Kauf ausschlaggebend. Um zu ergründen, ob der VW hinsichtlich der Zuverlässigkeit, Wirtschftlichkeit und Langlebigkeit tatsächlich außergewöhnliches zu bieten hat, nahm auto motor und sport vor rund zwei Jahren einen VW 1302 als Dauertestwagen besonderer Art in den Fuhrpark auf. Der orangerote Käfer ist seitdem ständig im Einsatz, wird aber vorwiegend für kürzere Fahrten in der Stadt oder der näheren Umgebung benutzt und seltener auf lange Reisen geschickt als die regulären Dauertestwagen. Im Gegensatz zu den Dauerläufern, die nach einer Distanz von 50.000 Kilometern ihre Pflicht erfüllt haben, soll der Käfer der Redaktion so lange erhalten bleiben, bis ernsthafte Verschleißerscheinungen auftreten. Bisher hat er 70.000 Kilometer zurück gelegt - Grund genug, eine Zwischenbilanz zu ziehen.


Solide Verarbeitung


Der Nutzwert der sehr unübersichtlichen Käfer-Karosserie ist, wie sich im Vergleich mit modernen Autos dieser Preisklasse immer wieder zeigte, ziemlich gering. In Relation zur Wagengrundfläche (Länge 4,11m, Breite 1,58m) wird nur sehr wenig Platz geboten, und zwar sowohl im Innen- als auch im Kofferraum. Auf langen Reisen mit vier erwachsenen Personen an Bord müssen in der Bequemlichkeit Abstriche in Kauf genommen werden, da besonders im Fond-Fußraum nur wenig Platz zur Verfügung steht. Das gilt auch für das Gepäckabteil im Bug: Es faßt 224 Liter (nach ams-Norm), besitzt aber keine durchgehende Ladefläche und ist somit zum Transport größerer Gegenstände ungeeignet.

Als praktisch im langfristigen Gebrauch erwies sich die funktionelle Ausstattung des Käfers, wobei namentlich die Stoffbezüge der Sitze lobende Erwähnung verdienen. Nich so gut ist es dagegen um die Strapazierfähigkeit der Sessel bestellt. Der naturgemäß am häufigsten benutzte Fahrersitz war nach 70.000 km schon stark durchgesessen. Keinen Grund zu Beanstandungen gaben die Schalter am Armaturenbrett und die beiden an der Lenksäule placierten Hebel zur Betätigung des Blinkers und Scheibenwischers. Sieht man von dem zweimaligen Ausfall des Handschuhkasten-Schlosses, den elektrischen Defekten an Hupe und heizbarer Heckscheibe ab, so traten im Ausstattungsbereich bislang keine gravierenden Mängel in Erscheinung.

Einen insgesamt soliden Eindruck machte auch die Karosserie nach 70.000 Kilometern: Sie verursacht zwar auf sehr holprigen Kopfsteinpflaster-Straßen Geräusche, doch schließen die Türen und Hauben so exakt wie am ersten Tag.

Auch Äußerlich zeigte sich der Dienstwagen in tadelloser Verfassung, obgleich er nur mit minimalem Aufwand gepflegt wurde. Selbst an der durch Steinschläge etwas verunzierten Frontpartie waren keine nennenswerten Rostansätze zu entdecken - ein Resultat qualitativ hochwertiger Lackierung und Grundierung.


Wenig Leistung


So alt wie die Konzeption des Käfers ist auch die seines Boxermotors: Ein solider luftgekühlter Vierzylinder fand (mit damals nur 19 PS) bereits in jenen Versuchswagen Verwendung, die im Jahre 1936 einen 50.000 Kilometer Test absolvieren mußten. Dann wurde er langsam über die Jahre hinweg stärker - nicht viel, aber immerhin merkbar. Auf die 24 PS-Version, die die Nachkriegsversion auszeichnete, folgte das 30 PS-Triebwerk (1953), dann kam der 34 PS-Motor (1960) - schließlich wurde aus dem Zwölfhunderter ein 1,3 Liter mit 40 PS (1965) und 44 PS (1971). Die stärkste Version bietet heute 50 PS bei 1,6 Liter Hubraum, und auch die zeigt, daß die VW-Motoren von der Anlage her zu den wenig leistungsfreudigen Maschinen zählen. Die für heutige Verhältnisse ausgesprochen niedrigen spezifischen Leistungen unterstreichen ihren schlechten Wirkungsgrad. Ungünstige Voraussetzungen setzen hier enge Grenzen: Das aus Gründen der Lastverteilung (Heckmotor) aus teurem Leichtmetall gefertigte, wenig verwindungssteife Motorgehäuse, die langen Stoßstangen für die Ventilbetätigung und nicht zuletzt auch die Luftkühlung gestatten nur bescheidene Leistungsausbeute, ohne die Lebenserwartung des Motors drastisch zu reduzieren.

Das der mit einem 44 PS starken 1,3 Liter-Motor ausgerüstete Käfer den Klassen-Konkurrenten deshalb in den Fahrleistungen deutlich unterlegen ist, zeigte sich bei den in unregelmäßigen Abständen durchgeführten Messungen: Das 835 kg schwere Auto benötigt knapp 23 Sekunden, um aus dem Stand auf 100 km/h zu beschleunigen, und erreichte eine relativ bescheidene Spitzengeschwindigkeit von 128,6 km/h. Im Alltagsbetrieb macht sich der akute Leistungsmangel vornehmlich auf der Autobahn und bei Überholmanövern im Geschwindigkeitsbereich ab 80 km/h negativ bemerkbar. Moderne Einliter-Kleinwagen wie beispielsweise der Fiat 127, geben dem VW nicht nur in den Fahrleistungen das Nachsehen, sie sind in der Regel auch genügsamere Verbraucher: Der Käfer konsumierte durchschnittlich 10,9 Liter Normalbenzin pro 100 Kilometer, der Fiat dagegen nur 8,2 Liter. Sehr niedrig war der Ölverbrauch mit 0,12 Liter/1000 km - auch nachdem die 70.000 km-Marke erreicht war.

Ärger bereitete häufiger der Vergaser: Er sorgte zwar nicht wie bei den 1302-Modellen der ersten Serien für überhöhten Benzinkonsum, sondern wartete des öfteren mit einem unregelmäßigen, zu niedrigen Leerlauf auf. Dieser Mangel sowie die gelegentlich beanstandete Arbeitsweise der Startautomatik - sie schaltete sich nach Erreichen der Betriebstemperatur nicht immer aus - machten das Zerlegen und Reinigen des Vergasers notwendug, nachdem die Einstellarbeiten in der Werkstatt wiederholt ohne den gewünschten Erfolg abgeschlossen worden waren.


In der Verarbeitungsqualität,Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit ist der Käfer auch heute noch den meisten Konkurenten überlegen.


Größere Reparaturen vielen erst bei Kilometerstand 63.405 und 66.086 an. Zunächst mußte die Mitnehmerscheibe der Kupplung erneuert werden (DM 194,95), wenig später war der Auspuff durchgerostet (DM 109,95). Der nach 59.000 Kilometern monierte Leistungsschwund des Motors nach einer längeren Phase ausschließlichen Stadtbetriebes hatte keine schwerwiegenden Gründe: Während der Kurzstrecken-Einsätze, bei denen der Motor nur selten seine Betriebstemperatur erreichte, hatten sich der Leistung abträgliche Ablagerungen gebildet. Nach längerer Autobahnfahrt mit forcierten Tempo verließ der Dreck den Motor auf natürlichem Wege, und der Käfer gewann an Temperament. Ein Leistungsschwund durch Verschleiß an Kolben und Ventilen war bis zu dieser Zwischenbilanz nicht zu beobachten.

Kompromißlösung


Im Vergleich zu den alten Pendelachs-Käfern haben die neuen, im Fahrwerk modernisierten Modelle erheblich mehr aktive Fahrsicherheit zu bieten. Enttäuschend ist allerdings die Aufpreispolitik des VW-Werkes, das sowohl Scheibenbremsen an der Vorderachse (DM 162,-) als auch Gürtelreifen (ab DM 165,-) nur gegen Aufpreis anbietet. Die serienmäßigen Trommelbremsen des Dienst-Käfers erwiesen sich als Quell ständigen Ärgers, der vornehmlich durch das häufige Schiefziehen der vorderen Bremsen und die bei scharfer Verzögerung heute kaum mehr zumutbar hohe Pedal-Fußkraft verursacht wurde. Die Bremsbeläge mußten während der 70.000 Kilometer-Distanz zwar nie erneuert, dafür aber des öfteren angeschliffen und die Bremsen bei fast jeder Inspektion neu eingestellt werden. Einmal war auch eine Nachbearbeitung der Trommeln erforderlich. Für die teuerste Rechnung insgesamt (DM 279,55) sorgten die bei Kilometerstand 56.300 verschlissenen Stoßdämpfer.


Viele Ersatzteile brauchte der Käfer während er 70.000 km-Distanz nicht, aber immerhin einige: Auspuff, Stoßdämpfer und Kupplungsscheibe mußten erneuert werden. Der Vergaser wurde einmal zerlegt - außerdem waren eine neue Verteilerkappe und Ventildeckeldichtungen nötig.


Auf das Konto der geringen Motorleistung und vor allem der im Durchmesser groß dimensionierten 15 Zoll-Räder geht der geringe Reifenverschleiß: Die bei der Übernahme montierten Michelin zX-Pneus (155 SR 15) wurden erst nach 63.400 Kilometern durch einen Satz Semperit 401 ersetzt. Sieht man von den starken Dröhngeräuschen auf Kopfsteinpflaster ab, so hinterließen die Michelin-Reifen auf dem VW einen rundum guten Eindruck. Die Dröhngeräusche sind - wie Erfahrungen mit anderen Stahlgürtel-Konstruktionen zeigten - nicht allein auf die Reifen, sondern auch auf die Auslegung des Fahrwerks zurückzuführen, das in diesem Punkt ganz offensichtlich mit Textilgürtelpneus und den serienmäßig gelieferten Diagonalreifen besser harmoniert.

Käfer-Besitzer, die nicht in gebirgigen Gegenden zu Hause sind, können auf die Anschaffung spezieller Winterreifen getrost verzichten, denn dank gut belasteter Antriebsräder und üppigen Reifenformats kommt der Käfer auch auf verschneiten Straßen gut voran.


Der Käfer beförderte seine Passagiere preiswert:
Auf 70.000 Kilometern benötigte der Dauertestwagen an Reparaturen und Wartung 2,95 Pfennig/km.


Zu den grundsätzlichen Vorzügen, die VW-Eigner genießen, gehört neben dem großen Servicenetz auch die kostensparende Computer-Diagnose. Nachteilig wirken sich bei Unterhaltskosten die kurzen Ölwechsel-Intervalle von nur 5.000 Kilometer aus. Sie sind deshalb notwendig, weil der Boxermotor anstatt eines heute allgemein üblichen Ölfilters im Hauptstrom lediglich ein kleines Ölsieb und die vergleichsweise geringe Füllmenge von nur 2,5 Liter besitzt. Dennoch sind Kundendienst und Reparaturen bei einem Käfer nach wie vor relativ billig. Das zeigt auch der für den Dienst-Käfer errechnete Kilometerpreis von 2,95 Pfennig für Wartung und Reparaturen.

Zugrunde gelegt wurde für diese Rechnung eine Fahrstrecke von genau 71.947 Kilometern, weshalb dieser Wert nicht mit den für andere Dauertestwagen errechneten Kosten verglichen werden kann. Um gerecht vergleichen zu können, muß der niedrige Kilometerpreis von nur 1,34 Pfennig herangezogen werden, den die nach 50.000 Kilometern ermittelte Zwischenbilanz ausweist. Dieser Kostensatz für Wartung und Reparaturen ist tatsächlich ungewöhnlich niedrig, denn vergleichbare Dauertest-Konkurrenten verlangten - selbst ohne Berücksichtigung des allgemeinen Preisauftriebes - teilweise erheblich höhere Investitionen: Der Fiat 128 kam beispielsweise auf 2,9 Pf/km, der Simca 1100 auf 2,7 Pf/km.

VW 1302L Dauertest

Hubraum1285 ccm
Leistung44 PS bei 4100 U/min
Gewicht835 kg
Leistungsgewicht19,0 kg/PS
Beschleunigung
0 bis 100 km/h
22,8 s
1 km mit stehendem Start41,7 s
Höchstgeschwindigkeit128,6 km/h
Benzinverbrauch über eine Strecke von 71.947 km 10,9 Liter
pro 100 km. Ölverbrauch 0,12 Liter pro 1000 km.

Mit der steigenden Kilometerleistung nahm natürlich auch beim Käfer progressiv der Verschleiß zu - erneuerungsbedürftige Stoßdämpfer, die verschlissene Kupplung und der durchgerostete Auspuff erhöhten die Reparaturkosten während der letzten 20.000 Kilometer. Doch die Wirtschaftlichkeitsbilanz blieb günstig - man fährt auch heute noch preiswert mit einem Käfer. Und zuverlässig - das zeigt der Dauertestwagen ebenfalls: Liegen blieb er nie.

 

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